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Gute & schlechte Behinderung?

Meinem Sohn sieht man seine Behinderung nicht an. Und das ist auch gut so. Oder? Manchmal gibt es Tage, da stelle ich mir diese Frage. Evans Behinderung wird oft als ungehorsam oder einfach nur als frech abgestempelt. Egal, ob ich einkaufen, auf den Spielplatz, zu einer Hochzeit, in die Stadt, ins Kaffee oder ins Schwimmbad gehe. Überall  fallen wir auf und werden gleich „erkannt“. Erkannt als nicht ins System passende Menschen. Ich muss zugeben, dass das auch nicht schwer ist. Wir betreten einen Raum und es wird schlagartig laut bzw. lauter. Evan bleibt nicht an der Hand und ist generell sehr schwer lenkbar, wenn viele Leute um ihn herum sind und er keine Begrenzung mehr hat. Ich habe fast immer unseren Hilfsbuggy dabei, allerdings kann ich ihn mittlerweile nicht mehr so oft  „überreden“ sich freiwillig dort hineinzusetzen und bei fast 20 kg ist es ohne seine Zustimmung nicht einfach ihn dort hineinzusetzen. Evan kann kaum bzw. gar nicht sprechen. Er lautiert sehr viel und versucht auch nachzusprechen aber oftmals versteht er die Bedeutung des Wortes nicht. Wir haben also fast keine Möglichkeit zu kommunizieren, außer unseren Gebärden und Bildkarten (über Gebärden & Bildkarten werde ich später nochmal genauer schreiben). Bis jetzt versteht Evan ein paar einzelne Gebärden sowie Bildkarten. Es ist es im Alltag sehr schwer ihm verständlich zu machen was wir als nächstes vor haben. Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem fremden Land mit einer fremden Sprache und vielen fremden Menschen, die Sie nicht verstehen können und deren Gesten und Mimiken Sie auch nicht lesen und deuten können. So ähnlich ergeht es meinem Sohn jeden Tag.

Mit der Zeit habe ich für den Alltag einige Strategien entwickelt. Ich gehe nie ohne Lollys, DV20150515_152232D Player (Evan liebt seine Musik DVDs), seinen Lieblingspuppen und Gummibärchen aus dem Haus. Zum Einkaufen habe ich mir ein eigenes Autismus T-Shirt zugelegt. Ich habe das Gefühl, wenn ich dieses T-Shirt trage, dass ich mich nicht ständig rechtfertigen muss, da bevor die Leute uns entlarven, wir Ihnen zuvorkommen. Meine andere  Strategie ist, dass wenn wir an der Kasse stehen, wo Evan meistens zur Höchstleistung auffährt, ich „wildgebärend“ seine GUK Gebärden anwende. Die er in dieser Form noch gar nicht verstehen kann, sie ihren Zweck allerdings sehr gut erfüllen, was ich sofort an den Reaktionen meiner Mitmenschen sehe und bemerke. Ihr Blick verändert sich schlagartig, aus Wut & Ärger wird Mitleid. Spätestens jetzt merken die Menschen, dass irgendetwas nicht stimmt. Vielleicht ist der Junge doch gar nicht so frech oder seine Mutter total überfordert sondern er hat etwas…? Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte kein Mitleid. Allerdings ist mir Mitleid mittlerweile lieber als mit diesen bösen Blicken und Kommentaren zu leben. Ja, Kommentare. Es bleibt leider nicht mehr nur bei bösen Blicken. Beim Einkaufen an der Kasse durfte ich mir schon anhören, dass ich mich für mein so schlecht erzogenes Kind schämen müsste und er mal eine ordentliche Tracht Prügel benötigen würde. Im Kaffee kam eine Kellnerin, nachdem ich Evan seinen DVD Player angemacht habe, damit ich für 5 Minuten in Ruhe meinen Kaffee trinken konnte und beschwerte sich wie ich meinen Sohn mit einem DVD Player ruhig stellen könnte. Im Schwimmbad bekomme ich von dem Bademeister, trotz Behindertenausweis ein Verbot, dass ich unseren Hilfsbuggy mit ins Bad nehmen kann. Der Junge könnte ja schließlich laufen. (Nachdem er Evan im Bad erlebt hat, brachte er mir den Hilfsbuggy nach 5 Minuten nach). Ich könnte jetzt noch etliche Beispiele nennen. Ich habe bis jetzt leider nur wenig positive Beispiele erlebt. Aber ich habe welche erlebt und diesen Beispielen möchte ich später noch einen eigenen Beitrag widmen.

Mit Evan an normalen Gruppenaktivitäten teilzunehmen ist außerordentlich schwierig, da er sich einfach anders verhält. Dieses Verhalten erfordert viel Verständnis und Toleranz. Das Thema Inklusion ist für mich schwierig. Meistens hört es sich in der Theorie sehr gut an aber im alltäglichen Leben kann ich es leider nicht ausleben. Wenn ich ehrlich bin, ist es mir schlichtweg zu anstrengend oder zu anstrengend geworden. Ich ziehe Sportgruppen für Behinderte oder Behindertenkaffees mittlerweile vor, dort fühle ich mich wohler. Das mag nicht richtig sein. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde Inklusion toll und richtig; wenn sie funktioniert. Ich würde mir wünschen, dass nicht behinderte und behinderte Kindern zusammen spielen und lernen. Vielleicht funktioniert das besser, wenn Evan älter ist und die Gruppen ohne Eltern stattfinden.

Ich merke, dass Mitmenschen auf Personen mit gut sichtbarer Behinderung anders reagieren als bei Menschen, bei denen man es nicht sofort erkennt. Ich kann nachvollziehen, dass es am Anfang irritierend und schwierig nachzuempfinden ist aber ich kann und möchte mich nicht ständig rechtfertigen. Wenn ich an der Kasse stehe und ich mit einer Hand Evan festhalten
muss mit der anderen Hand die Einkäufe in den Wagen werfe und mit der nicht vorhanden Hand noch bezahlen muss, würde ich mich über Hilfe freuen! Eltern mit gesunden Kindern kennen diese Situation bestimmt auch sehr gut. Und jetzt schließen Sie für einen kurzen Moment die Augen und stellen Sie sich einmal vor es wäre noch 100 mal schlimmer.

Abschließend möchte ich erwähnen, dass wir trotzdem noch gerne einkaufen, ins Schwimmbad oder ins Kaffee gehen. Evan und ich lieben das Leben, denn das Leben ist scFeatured imagehön!

Freundlichkeit ist eine Sprache, die Taube hören und Blinde sehen! (Mark Twain)

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