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Bella Italia – unser Sommerurlaub!

Urlaub oder besser ein bisschen Freiheit vom Alltag, dass ist in vielen Familien das Highlight im Jahr. Das ist mit einem  autistischen Kind nicht anders. Der einzige Unterschied ist allerdings, dass man eigentlich schon im Voraus weiß, dass es kein Erholungsurlaub wird sondern meistens noch anstrengender also sonst. Keine gewohnte Umgebung, nicht die regulären Strukturen und Zeiten, viele fremde Menschen. Warum fährt man dann überhaupt noch in den Urlaub? Ganz einfach: weil man – wenigstens 1x im Jahr – so etwas ähnliches wie Urlaub erleben oder erfahren möchte.

Diesen Sommer ging es nach Italien, an den Gardasee. Meine Mutter, Evan und ich – und ganz viel Gepäck. Nach fast 14 Stunden Autofahrt sind wir endlich angekommen. Evan fährt zum Glück gerne Auto und man kann ihn während der Autofahrt sehr gut beschäftigen. Normalerweise reißt man sich nicht darum, hinter dem Steuer zu sitzen sondern sitzt lieber daneben. Bei uns ist es genau andersrum. Wir losen aus, wer hinten sitzt und Evan im Wechsel seinen DVD Player, sein Tablet oder sonstiges Spielzeug oder Essen reicht.

Den Fehler in ein Hotel zu gehen, habe ich genau 1x gemacht. Seitdem fahre ich lieber auf einen Campingplatz, in ein Mobil Heim wo wir unter uns sind. Als wir in unser neues zu Hause auf Zeit eingezogen sind, passiert es bei mir ganz automatisch. Ich gehe systematisch die Wohnung ab und schaue was „autismusfreundlich“ ist und was man umgehend bzw. sofort ändern muss. Das erste was wir behoben haben war die offene Terrasse. Unser Mobil Heim hatte eine sehr schöne und große Terrasse, die allerdings offen war. Daher baute ich sofort eine Absperrung aus mehreren Stühlen und unserem Rehabuggy, die leider nur sehr kurz vor Evan Bestand hatte.

Für Evan ist es sehr schwer sich selber zu „begrenzen“. Damit meine ich nicht, dass er 20151005_192711eingezäunt werden muss – was vieles vielleicht wirklich einfacher machen würde – aber er kann sich selber schwer „erden“ und ist ständig in Bewegung und sehr unruhig. Daher habe ich auch die Sandweste von Beluga, die 2,5 kg wiegt und ihn in manchen Situationen sehr gut beruhigt. Evan spürt sich dann mehr und kommt dadurch auch automatisch mehr zur Ruhe. Evan mag es gar nicht räumlich eingegrenzt zu werden. Er braucht viel Platz und Freiheit. Einige Leute neigen dazu ihn ständig beobachten und führen zu wollen, das macht es aber noch viel schlimmer. Ich habe mittlerweile einen Weg gefunden ihn unbemerkt zu führen bzw. zu lenken – was hin und wieder funktioniert.

Ab dem Moment, ab dem die Absperrung nicht mehr existierte, konnten meine Mutter und ich im Wechsel eigentlich ständig hinter Evan herlaufen. Da Evan mittlerweile schon fast 20 kg wiegt, ist es nicht so einfach ihn zu bremsen. Er wird oft sehr wütend und reagiert aggressiv. Er kann einfach nicht verstehen warum er gewisse Sachen nicht machen darf oder warum sie gefährlich sind.

Gleich am Anfang hat Evan entdeckt was andere Kinder so dabei hatten: Roller, Rutscheautos, Puppenwagen etc. Nach anfänglichem  Optimismus, dass wir nur streng und überzeugt genug sein müssten, dass Evan sich dass nicht einfach nehmen kann und darf, hat es ungefähr einen Tag gedauert und wir haben unseren ersten Italien Ausflug gemacht: Zu ToysR’Us! Unsere Errungenschaften: ein Rutscheauto, ein Puppenwagen, einen Roller und eine Plastikgitarre. 

Aufstehen, das erste Mal im Schlafanzug hinter Evan her (ungeschminkt & ungekämmt). Im Wechsel fertig machen &  frühstücken. Jeden Morgen habe ich mir mit viel Liebe einen Cappuccino gemacht, leider konnte ich ihn in den ganzen 10 Tagen nicht einmal im Sitzen austrinken.  Nach nur ein paar Tagen – eigentlich war es nur ein Tag – kannten mich und Evan, gefühlt, der komplette untere Campingplatz, da ich mit Evan immer und immer wieder meine Runden drehte. Im Wechsel mit Kinderwagen, Rutscheauto oder Roller. Das war für meine Fremdsprachenkenntnisse allerdings gar nicht so schlecht, da ich im Wechsel auf Französisch, Englisch, Spanisch und Deutsch immer wieder das Gleiche erzählen konnte. Ich war überrascht wie freundlich die Leute bzw. Camper waren, auch wenn Evan ständig durch deren Camping „Vorgarten“, ausgelegt mit grünen Kunstrasen, gefahren ist.

Zum Spielplatz sind wir mit Evan nur ein paar Mal gegangen, da wir nicht schon wieder zu Toys R’US wollten. Mittag essen wieder im Wechsel eingenommen. Da wir nur einige Minuten vom Gardasee platziert waren, konnten wir schnell zwischen dem See und unserem Mobil Heim hin und her wechseln. Wir hatten Glück und haben meistens ein ruhiges Plätzchen am See gefunden. Falls sich dann doch mal eine Familie genähert hat, sind wir gleich umgezogen. Meine Mutter war irgendwann vom vielen Hin- und Herziehen genervt. Als ich es ihr überlassen habe, es dann einfach auszuprobieren, sagte sie überzeugt zu. Als ich dann nach einigen Minuten wieder kam, konnte ich die Beiden erst gar nicht finden, so weit sind sie umgezogen. Manche Probleme lösen sich ganz von alleine.

Am 3. Tag hatte ich die Idee endlich die tolle Pool Landschaft zu besuchen. Sie war einfach riesig. Mit etlichen Rutschen und Wasserspielen. Ein richtiges Paradies. Allerdings nicht für uns. Nach nur wenigen Minuten habe ich gemerkt, dass das eine ganz blöde Idee war. So schnell wie Evan im Wasser war – mit Schwimmweste und Neoprenanzug- konnte ich gar nicht schauen. Nach Evan hüpfte meine Mutter dann ins Wasser und versuchte ihn einzuholen. So schnell wie er im Wasser war, war er allerdings auch schon wieder draußen und hatte einige Spielsachen, Luftmatratzen und Schwimmschuhe in Beschlag genommen. Diese Dinge waren aber auch schnell wieder uninteressant und er stand in der nächsten Sekunde schon auf der Rutsche. Dort bin ich dann ebenfalls rauf geklettert. „Die Rutsche ist nur für Kinder“ habe ich sofort zu hören bekommen. War mir egal, ich bin trotzdem hinterher und habe Schlimmeres verhindern können.

Als meine Mutter gerade dabei war Evan die neu zusammen gesuchten Gegenstände wieder abzunehmen, konnte ich mich für einen kurzen Moment umschauen. Es war so ähnlich als ob man seinen Körper kurz verlässt und neben sich steht. Ich konnte gar nicht glauben was ich gesehen habe. Eltern, die auf ihren Liegen lagen, Bücher oder Zeitschriften gelesen haben und mit einem Auge ihren Kindern beim Spielen beobachtet haben. Manche schienen sich wirklich auszuruhen. Ich war tierisch eifersüchtig und wollte gehen.  Ich glaube wir sind 30 Minuten geblieben. Nach diesen 30 Minuten war ich so kaputt, dass ich mich am Liebsten etwas ausgeruht hätte. Aber Evan wollte jetzt Roller fahren, durch die Campingvorgärten. Ich also wieder hinter her.

Wir haben noch 2 Ausflüge ausprobiert. Ein Ausflug auf dem Fahrrad nach Sirmione. Leider konnten wir schlecht das Fahrrad durch die engen Gassen schieben. Evan habe ich genau einmal aus dem Fahrradsitz gelassen. Als er dann aber auf direkten Wege in die kleine Kapelle gelaufen ist und schon hinter der Absperrung auf dem Altar war, habe ich ihn direkt wieder in den Fahrradsitz gesetzt und wir haben uns durch die engen Gassen gezwängt.

Unser 2. Ausflug war ins Gardaland. Das ist ein Vergnügungspark. Ausgerüstet mit unserem Rehabuggy, DVD Player, Lollis, Puppenwagen und etlichen Spielsachen, habe ich gehofft, dass es vielleicht für ein paar Stunden funktioniert. Wir wurden dann aber schnell eines Besseren belehrt. Es hat nicht funktioniert und wir sind sehr schnell wieder nach Hause gefahren.

Eigentlich hätten wir uns die Ausflüge auch sparen können, aber irgendwie versucht man es trotzdem immer wieder. Das ist wirklich ein Phänomen. Ich habe einige Freundinnen mit autistischen Kindern und sie bestätigen mir das Gleiche. Man versucht es immer und immer wieder. Jedes Mal mit der Hoffnung: Dieses Mal könnte es ja klappen! Meistens tut es das aber nicht.

Ein tolles Erlebnis im Urlaub war, dass Evan nach nur 2 Versuchen das Fahrradfahren – ohne Stützräder – gelernt hat. Es kam ihm zu Gute, dass er keine Angst hat oder kennt. Er ist einfach losgefahren und ich hinterher. Leider konnte er noch nicht bremsen und seine erste Fahrt endete in einem Campingvorgarten. Die Leute sind an dem Tag neu angekommen und kannten uns daher noch nicht. Zum Glück waren es Italiener, die sind besonders kinderfreundlich.

Dafür, dass ich am 3. Tag schon wieder nach Hause wollte, war der Urlaub noIMG-20150919-WA0035ch sehr schön. Für viele Leute wäre es der reine Streßurlaub gewesen und das war es die meiste Zeit auch. Allerdings gibt es diese Momente, wenn Evan abends einfach in den Gardasee läuft und wir ganz spontan im Dunkeln zusammen schwimmen und dabei singen bzw. lautieren oder Evan mit der Holzgitarre (die ich direkt nach dem Kauf wieder mit Superglue kleben konnte) und Hut durch die italienischen Gassen zieht und lautiert.

Ich trinke meinen Cappuccino nicht im Sitzen sondern ich trinke ihn 20150909_093926während ich Evan hinterher laufe. Deshalb schmeckt er nicht weniger gut. Es erfordert nur mehr Kreativität und Flexibilität. So in etwa sehe ich das auch mit unserem Urlaub. Mit viel Kreativität und Flexibilität hatten wir einen schönen Urlaub. Anders als andere Urlaube, anders schön.

… nächstes Jahr werden wir ganz sicher wieder sagen: Dieses Mal klappt es bestimmt! 

Wenn einer aus der Reihe tanzt, ist die Reihe besser zu sehen. Das Außergewöhnliche, Andersartige und Besondere gehört zum Leben unabdingbar und macht es erst lebbar – erst lebendig!

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