Autor: m.wessel12@yahoo.de

Freiheit.

Mein liebes Kind, weißt Du was? So oft Du mich auch an meine Grenzen bringst, überwiegt meine Liebe und meine Bewunderung für Dich. Ich bewundere Dich für Deinen unerbittlichen Willen und Deine Stärke. Ich bewundere Dich mit welcher Begeisterung Du Großes in kleinen Dingen siehst. Ich bewundere Dich, dass Du trotz vieler Widerstände Deinen eigenen Weg gehst und Du bist. „Das gehört sich nicht“ oder „Das macht man doch nicht“ Diese Wörter und Einschränkungen halten Dich nicht zurück, Du selber zu sein. Jeden Tag durchbrichst Du die Regeln und soziale Norm der Gesellschaft. Hast Du das Bedürfnis im Winter barfuß zu gehen, machst Du das. Möchtest Du einen Staubsauger auf Deinen Reisen mitnehmen, dann machst Du das. Hast Du das Verlangen deinen alten und kaputten Laptop und Deine Schlafdecken bei Dir zu haben, dann machst Du das. Wie schnell werden kleine Kinder heutzutage schon in Schubladen gesteckt? Wie schnell werden Kinder in die gesellschaftliche Norm, in eine Form, gepresst, in die sie noch gar nicht reinpassen? Wie oft müssen Kinder sich heutzutage schon anpassen und …

Reiseführer.

Plätze. Immer wieder stoße ich im Internet, in Zeitschriften oder im Fernsehen auf Familien- Ausflugsziele oder Aktivitäten. Euphorie und Freunde machen sich breit. In Gedanken sehe ich uns schon diese wunderbaren Dinge machen und diese wundervollen Orte besuchen. Aber schon nach ein paar Sekunden legt sich die Anfangseuphorie wieder und Trauer macht sich breit. Ich stelle fest, dass diese Plätze oder Aktivitäten nichts für uns sind. Nicht für meinen kleinen Michel geeignet sind. Ich stöbere gerne, immer wieder auf der Suche nach geeigneten Plätzen und Orten, an denen auch wir Spaß und ein wenig Erholung haben können. Ich bin gut geworden im „Stöbern“ und Recherchieren. Ich suche vorab nach Bildern und Informationen, wäge ab und überlege. Es macht mich traurig, dass es so wenig Informationen und Tipps über Plätze und Orte sowie Aktivitäten für besondere Kinder gibt. Wieder fühle ich mich ausgeschlossen und im Abseits der Gesellschaft. Für einen kurzen Moment. Denn nach dem Regen kommt bekanntlich die Sonne. Auch zu mir. Mein Kampfgeist wird wach und mein persönlicher Reiseführer nimmt immer mehr Gestalt an. …

Immer mehr.

Ich hätte Dir so gerne die Welt gezeigt. Zumindest ein Teil davon. Vielleicht angefangen bei unserer Stadt. Mein Leitsatz, unser Lebensmotto, lautet: – Geht nicht, gibt’s nicht – Aber auch ich stoße an Grenzen. Ich versuche so gut wie es geht, an diesem Leitsatz festzuhalten. Ich halte ihn förmlich so fest, dass er mir „eigentlich“ gar nicht aus den Händen gleiten könnte. Eigentlich und könnte, denn in letzter Zeit macht er es leider immer wieder ein bisschen mehr. Es gibt so viele Dinge, die ich Dir zeigen und erklären möchte. Ich versuche Dir vieles zu ermöglichen, Deine Abenteuerlust irgendwie zu stillen, aber es geht nicht immer. Manchmal lassen es die Begebenheiten, die Umstände, einfach nicht zu. Du bist so ein aufgeschlossenes und lebenshungriges Kind. Du möchtest Abenteuer erleben und die Welt entdecken. Aber mache Abenteuer bleiben unentdeckt von Dir. Manche Plätze auf dieser Welt unbesucht von uns. Ich glaube für Dich ist es okay, denn Du vermisst diese Reisen oder Abenteuer nicht. Aber mir tut es weh. Dabei meine ich gar nicht die großen weiten …

Begegnungen.

Begegnungen. Der Sommer ist im vollen Gange und ich spüre sie immer mehr. Die Isolation. Das Ausgeschlossensein. Das am Rande der Gesellschaft. Das Nebenan statt Mittendrin. Wir besuchen die entlegensten Seen zu den wahnsinnigsten Zeiten und den seltsamsten Wetterverhältnissen. Meistens alleine. Heute allerdings waren wir in wunderbarer Gesellschaft und dabei ist dieser einzigartige Moment entstanden. Evan war so glücklich, eine Spielkameradin zu haben. Es passiert eher selten, dass sich Kinder auf ihn einlassen. Daher freut es mich umso mehr. Evan möchte dabei sein. Evan möchte ein Teil dieser Gesellschaft sein. Nicht immer aber immer mal wieder und das würde ich ihm gerne ermöglichen. Bis das soweit ist, besuchen wir noch unsere Einsiedlerorte. Aber immer mal wieder tauchen wir auf und zeigen uns. Immer mal wieder gelingt es uns, mittendrin zu sein. Und was soll ich sagen? Das ist ein tolles Gefühl.

Ich könnte das nicht.

„Ich könnte das nicht“ – Ein Satz, 4 Wörter, die ich schon so oft zu hören bekommen habe. Nicht in böser, sondern in gut gemeinter, lobender, Absicht. Immer wieder überlege ich, was diese 4 Wörter in mir auslösen. Warum mich dieser Satz, trotz gut gemeinter Absicht, so trifft. Was bedeutet er eigentlich? Dass Evan so schlimm ist? Dass die Lebensaufgabe so groß, zu groß, ist? Nicht machbar? Nicht schaffbar? Ich habe es mir nicht ausgesucht. Nicht aussuchen können. An manchen Tagen bin ich am Verzweifeln. Bin ich unendlich traurig und verletzt. Mein Leben vor Evan war so anders. Meine Vorstellungen mit dem Zusammenleben eines Kindes so anders. In manchen Situationen treffen mich diese Gedanken mitten ins Herz. Wie sagt man so schön, mitten ins Schwarze. Dann stelle ich mir die Frage: Kann ich das? Im gleichen Moment befüllt sich mein Herz mit einer so unbeschreiblichen Liebe, dass ich es förmlich herrausschreien möchte. „Ja, ich kann!“. Zumindest will ich es vom tiefsten Herzen heraus. Oftmals bin ich überfordert und zweifel an mir. „Kann ich es besser …

Sommer.

Sommerferien. Für viele die schönste Zeit im Jahr. Für uns immer eine aufregende und aufwühlende Zeit, der ich ehrlich gesagt meistens mit Bauchschmerzen begegne. Dieses Wochenende war kräftezehrend und erschöpfend. Wenn ich ehrlich bin, war ich am Limit. Körperlich und physisch. Und es ist erst der Beginn der Sommerferien. Ich bin ein Chaot und viele würden sagen auch ein bisschen verrückt. Aber dieses Wochenende habe ich gemerkt wie dankbar ich diesen Eigenschaften bin, denn sie retten mich. Jeden Tag und jeden Sommer aufs Neue. Egal wie erschöpfend der Tag auch ist, irgendwie gelingt es mir immer wieder das Positive zu sehen und dem Leben freudestrahlend entgegenzutreten. Am Wochenende war es das spontane Frühstück am Deich, um 5 Uhr morgens versteht sich, da zu Hause kein Halten mehr war. Am Deich zu sitzen, diese tolle Landschaft und Ruhe zu genießen und meinen Kindern glücklich beim Spielen zuzuschauen. All das Erleben zu dürfen, wie erschöpfend und kräftezehrend es auch sein mag. Für all das bin ich unendlich dankbar. Jeden Tag erfüllt mich aufs Neue diese unbeschreibliche Liebe …

Anders und (un)sichtbar.

„Ihr werdet sehen, dass ich gestresst bin. Ihr werdet sehen, dass ich genervt bin. Ihr werdet sehen, dass ich verzweifelt bin. Aber ihr werdet NIE sehen, dass ich aufgebe!“ So lautet der Leitspruch von Adelheid. Adelheid ist 44 Jahre alt und lebt mir ihrere Familie in der Nähe von Heilbronn. Ihr Sohn Julian ist 4 Jahre alt und hat das Smith-Magenis-Syndrom. Er hat einen Pflegegrad 4 und einen GdB (Grad der Behinderung) von 80% sowie die Merkzeichen G, B und H. Kraft zieht Adelheid aus dem Austausch mit ihren eigenen sowie anderen betroffenen Eltern und durch Ausflüge mit ihren Freundinnen.  Magst Du Dich und Deine Familie kurz vorstellen? Was ist bei Dir /Euch anders und unsichtbar?Mein Mann und ich leben mit unseren beiden Kindern, 10 und 4 Jahre alt, in einem kleinen Ort in der Nähe von Heilbronn. Unser Sohn Julian ist 4,8 Jahre alt und hat das Smith-Magenis-Syndrom, abgekürzt SMS. Die Symptome von SMS haben eine große Bandbreite und können ganz unterschiedlich ausgeprägt sein (mehr Infos dazu auf www.smith-magenis.de). Nur jemand der mit SMS …

Aus dem Fenster.

Der Sommer kommt. Oder besser gesagt, der Sommer ist da! Draußen ist es warm und die Menschen gehen vor die Tür. Ich glaube bei den Temperaturen zieht es die meisten Menschen überwiegend ins Schwimmbad, an den See oder in die Eisdiele. Ich mag die warmen Temperaturen. Ich mag das Leben auf den Straßen. Daher trifft es mich im Sommer immer wieder ein bisschen mehr. Zu dieser Jahreszeit wird es mir immer wieder etwas bewusster, wie isoliert wir sind. Wie wenig wir das Leben auf der Straße erleben. Im Sommer fühle ich es besonders stark. So vieles ist einfach nicht möglich. Einiges ist möglich aber es wird unmöglich gemacht. Es ist ein dünner Pfad, immer zu schauen was wie geht und sich einzugestehen, dass etwas nicht geht. Sich aufzuteilen zwischen den Brüdern, um sicher zu gehen, dass keiner zu kurz kommt. Ich schaue aus dem Fenster und sehe wie das Leben auf der Straße verläuft. Das Fenster ist offen und ich kann die Menschen lachen hören. Wie gerne würde ich das Fenster schließen und einfach die …

Es lohnt sich.

„Seien sie nicht traurig. Ihr Sohn wird seine Liebe und Zuneigung nie zeigen können.“„Autisten können keine Liebe zulassen.„„Das Leben mit einem so schweren Herzfehler ist nicht lebenswert.“„Er wird nie sprechen können.“„Das Leben mit einer geistigen Behinderung ist nicht lebenswert.“„Ihr Sohn ist kein Autist. Es liegt an ihnen.„ Dies sind nur einige wenige Beispiele an Äußerungen, die ich mir – es gilt an dieser Stelle zu betonen, überwiegend von Fachleuten, im Laufe der Zeit anhören musste. Viele dieser Äußerungen haben mich früher, am Anfang unseres Weges, sehr irritiert und ehrlich gesagt auch sehr verunsichert. Gerade am Anfang, wenn man es nicht besser weiß, vertraut man auf die Meinungen der Ärzte, Psychologen, Therapeuten und Erzieher. Mir ist es an dieser Stelle sehr wichtig zu betonen, dass es großartiges Fachpersonal gibt. Ich hatte am Anfang leider nicht so viel Glück und habe mir viele Äußerungen und Behauptungen anhören müssen, die nicht der Wahrheit entsprachen und mich sehr verletzt haben. Und dann sehe ich die Bilder. Bilder, die alle Eltern zur Genüge haben. Momentaufnahmen. Schnappschüsse. Für mich haben diese …

@ Margot Dennler

Anders und (un)sichtbar.

Diese Woche freue ich mich sehr, Euch Margot und ihre Familie vorzustellen. Margot ist 49 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Österreich. Mittlerweile lebt sie mit ihrem Sohn und ihrem Mann in der schönen Schweiz. Ihr Sohn hat die mittlere Hilflosenentschädigung, dieses ist wie Pflegegeld zu verstehen. Ihre Kraftquellen sind der christliche Glaube, ihre Familie, Freunde und Hobbies. Magst Du Dich und Deine Familie kurz vorstellen? Was ist bei Dir /Euch anders und unsichtbar? Ich stottere aber habe selber keinen Ausweis oder eine Pflegestufe. Mein Mann Samuel ist 52 Jahre und hatte mit 3 Wochen eine Hirnhautentzündung. Die Folgen dieser Entzündung sind hinken, schielen, und eine Verminderung der Belastbarkeit. Mein Mann bezieht daher eine 3/4 Rente. Unser Sohn Jonathan ist 14 Jahre alt und hat eine Muskeldystrophie des Typs Duchenne (muskuläre Erbkrankheit), Kleinwuchs und eine Lernschwäche. Wo und wie wird Deine/Eure unsichtbare Behinderung im Alltag sichtbar? Wie beeinflusst Dich/Euch die Behinderung im Alltag?Sobald ich sprechen muss, fange ich an zu stottern. Zum Glück nicht immer in jeder Situation. Mein Mann kann nicht so schnell arbeiten …