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Die eine Mutter.

Wow, was für eine starke Mutter. Die Mutter muss stark sein. Sie hat doch ein behindertes Kind. Sie ist eine Kämpferin. Eine Löwenmutter. Eine Judo Kämpferin. Immer stark, nie erschöpft. Steigt in den Ring. Kämpft jeden Kamp zu Ende. Und das Beste? Sie sieht dabei noch nichtig gut aus. Eine tolle Frau. Eine richtig gute Mutter. Ein wertvolles Mitglied unserer Gesellschaft.

Aber wissen Sie was? Ich bin die Mutter, die manchmal zu müde zum Kochen ist und zu MC Donald fährt. Die Mutter, die ihrem Kind den 2. Lutscher kurz vor dem Abendbrot gibt, damit es nicht mehr schreit. Die Mutter, die es manchmal körperlich nicht mehr schafft, ihr Kind, in den Kindersitz zuschnallen. Die eine Mutter, die an manchen Tagen noch eine „I am a Gummy Bear“ Playlist auf YouTube anmacht, damit sie ihren Latte Macciato (in Ruhe) trinken kann. Die Mutter, die ihren Freunden sagt, dass sie schnell mal wohin müsste, nur damit sie hinter der nächsten Ecke kurze 2 Minuten durchatmen kann. Die Mutter, die auf dem Spielplatz ihr Handy herausholt und mit anderen Freunden über Whats App kommuniziert. Die Mutter, die sich am Morgen die Decke über den Kopf zieht, weil sie noch nicht aufstehen mag. Die Mutter, die zu Hause manchmal bewusst wegschaut, wenn ihr Kind etwas kaputt macht, da ihr die Kraft fehlt schon wieder aufzustehen und konsequent zu sein. Die Mutter, die ihren Sohn manchmal morgens im Pyjama in den Kindergarten schickt, weil sie es an manchen Tagen einfach nicht schafft ihn anzuziehen. Ich bin die Mutter, die sich manchen Tagen die Ohren zuhält, weil sie das Geschrei nicht mehr ertragen kann. Die Mutter, der an vielen Abenden die Kraft für ein Gute Nacht Lied fehlt. Die Mutter, die ihrem Kind morgens schon mal einen Keks gibt. Die Mutter, die sich an manchen Sonntagen wünscht, doch bei Bauer sucht Frau mitgemacht zu haben, um einmal sagen zu können: Schatz, kümmer Du Dich bitte kurz. Ich liege noch im Bett und ruhe mich ein wenig aus. Mit einer Zeitschrift und einem Latte Macciato. Die Mutter, die nach der „Heute war Evan sehr schwierig. Was ist mit Ihnen los, Frau B.?“ Frage  des Therapeuten ausflippt. Die Mutter, sich nicht mehr zügeln kann und die Dame von der Krankenkasse am Telefon anschreit. Dann auflegt und weint. Die Mutter, die ihr Kind und den Busfahrer manchmal 5 Minuten vor der Haustür warten lässt. Die Mutter, die sich an manchen Tagen freut, den Tag auf der Arbeit zu verbringen, als zu Hause zu bleiben. Die eine Mutter, die sich ab und zu wünscht, etwas mehr normal als anders sein, zu müssen. Die Mutter, die manchmal einfach keinen Bock auf Struktur hat und nicht immer Rücksicht nehmen möchte. Ich bin die eine Mutter, die sich hin und wieder freut ihr Kind abzugeben, um eine Nacht durchzutanzen. Ich bin die Mutter, die an manchen Tagen komplett überfordert und vollkommen erschöpft ist, mental und körperlich. Ich bin die Mutter, die an manchen Tagen gerne etwas mehr Frau wäre.

Aber ich bin auch die Mutter, die sich in der Nacht liebevoll und geduldig von 2 bis 5 Uhr morgens um ihr Kind kümmert. Die Mutter, die stundenlang in der Küche steht, um eine Suppe zu kochen, die dann nicht probiert und schon gar nicht gegessen wird. Die Mutter, die nach einer sehr kurzen Nacht aufsteht, ihr Kind und sich selbst auf den Tag vorbereitet, zur Arbeit fährt, nach 5 Stunden wieder nach Hause kommt. Ihr Kind versorgt, den Haushalt irgendwie nebenbei führt, danach zur Therapie fährt, wieder nach Hause kommt Abendbrot vorbereitet und ihren Sohn zu Bett bringt. Die Mutter, die vor dem Spielplatz und dem Handy schon einige Stunden liebevoll das gleiche Spiel mit ihrem Sohn gespielt hat. Die Mutter, die manchmal mit Engelszungen auf ihr Kind einsingt, begleitet mir einer Gitarren-Klobürste, und etliche Minuten versucht Ihr Kind ohne Kraft in den Kindersitz zu setzen. Die Mutter, die an einem Tag schon 100-mal aufgesprungen und liebevoll konsequent ihr Kind zur Vernunft gebracht hat. Die Mutter, die sich seit 3 Jahren um Therapien bemüht, mit Krankenkassen um eine Windel mehr am Tag streitet, sich ausdauernd und diszipliniert mit Ämtern und Behörden auseinandersetzt. Die Mutter, die morgens 30 Minuten geduldig versucht ihr Kind zu überreden den Schlafanzug gegen ein Tagesoutfit zu tauschen. Die Mutter, die seit Jahren immer wieder ruhig und bereitwillig verschiedenen Therapeuten Evans Erkrankungen und Diagnosen erklärt und den Tagesablauf offen legt. Die Mutter, die offen und lernfähig Kritik annimmt und versucht diese umzusetzen. Die eine Mutter, die sich die irrsinnigsten Rätschläge und Tipps der Außenwelt gelassen anhört und in Ruhe versucht sich zu erklären. Die Mutter, die auf dem Weg zur Arbeit schon  Gespräche über Anträge im Auto (mit Headset) führt. Die Mutter, die immer wieder nachfragt und sich erkundigt wie es ihrem Sohn den Tag über ergangen ist. Die Mutter, die ihr Kind immer und immer wieder bis aufs Äußerste verteidigt. Die Mutter, die das Einzigartige und Wundervolle im Anderssein sieht. Die eine Mutter, die jeden Tag diszipliniert zur Arbeit fährt und sich am Nachmittag abhetzt, um ihren Sohn pünktlich vom Bus abzuholen. Die Mutter, die seit Jahren den gleichen einsamen Waldweg mit ihrem Kind geht, weil es ihm Freude bereitet. Die Mutter, die ihr Leben komplett (mit ein paar Pausen) nach ihrem Kind ausrichtet. Die Mutter, die nicht „Schatz, geh Du mal eben kurz“ sagen kann und immer und immer wieder aufspringt und sich kümmert. Eine Mutter, die sich nach 3 Stunden Auszeit riesig auf ihren Michel aus Lönneberga freut und ihn in die Arme schließt, so als wenn sie ihn das erste Mal nach Wochen wiedersehen würde. Die Mutter, die morgens schon voller Elan aufwacht und den ganzen Tag kreativ und gut gelaunt mit ihrem Sohn verbringt. Die Mutter, die sich unermüdlich für die Interessen und Anliegen ihres Sohnes einsetzt.

Jeden Tag wird man  Zeuge/in bestimmter Situationen. Auf den ersten Blick scheint alles ganz klar, ganz eindeutig zu sein. Aber was sieht man wirklich? Meistens den Bruchteil einer Situation. Ein kleines Stück vom Ganzen. Einzeln mögen viele Teile nicht richtig und sogar dreckig erscheinen aber als Ganzes werden Sie oftmals zu einem wunderschönen Bild. Manchmal lohnt es sich einfach ein wenig länger hinzuschauen.

„Dont judge my journey until you have walked my path“

Ich bin die Mutter, die jeden Tag aufs Neue ihr bestes gibt. Könnte ich es besser, würde ich es machen.

 

 

 

 

 

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