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Unsere Alternative für Deutschland?

Dieser Artikel soll kein politisches Statement sein, sondern ein menschliches.

Ich bin sehr dankbar, dass Evan und ich in Deutschland leben dürfen. Haben wir etwas dafür getan? Nein. Wir hatten Glück. Einfach nur Glück. Glück, dass meine Eltern hier geboren sind. Haben die etwas dafür getan? Eine Leistung vollbracht? Nein, auch sie hatten Glück. Glück in einem demokratischen Land zu leben. Wenn ich die Aussagen einiger deutschen Mitbürger in sozialen Netzwerken lese, bekomme ich den Eindruck, dass diese Menschen, die oft nicht älter sind als ich, Deutschland mit ihren eigenen Händen erbaut haben. Erschaffen haben. Sie es verdient haben in Deutschland zu leben. Eine angemessene Leistung vollbracht haben. Aber ist dem wirklich so? Trifft es nicht eher zu, dass Deutschland ohne (ausländische) finanzielle Unterstützung nach dem 2. Weltkrieg nicht wieder hätte aufgebaut/saniert werden können? Ich erwähne an dieser Stelle nicht die vielen ausländischen Leiharbeiter, die tatkräftige Unterstützung geleistet haben. (Danke Enno Lenzer, Journalist, an dieser Stelle für den Gedankenanstoß). Woher nehmen sich also so viele Mitbürger das Recht anzunehmen, dass sie es verdient haben in Deutschland zu leben? Jeder Mensch strebt nach dem Glück dieser Erde. Es ist ein Urinstinkt glücklich sein und in Frieden leben zu wollen. Jeder Mensch möchte seine ganze eigene Lebenschance nutzen. Haben wir, weil wir zufällig in Deutschland geboren sind, mehr Anrecht auf Glück? Haben die Anderen einfach nur Pech gehabt? Tja, tut mir leid. Pech gehabt. Vielleicht hast Du beim nächsten Mal mehr Glück. In Deinem anderen Leben.

Wir sind verwöhnt und klagen auf hohem Niveau.

Mir und Evan geht es in Deutschland sehr gut und dafür bin ich unendlich dankbar. Ich bin  alleinerziehend, mit einem chronisch kranken Kind, und weiß wie schwer die finanzielle Last das Leben beschweren kann. Ich bin mir bewusst, dass es Mitbürger unter uns gibt, die an der Armutsgrenze leben und sich täglich fragen müssen, wie sie sich und ihre Kinder über die Runden bringen sollen. Das tut mir sehr leid. Kein Mensch sollte dieser Belastung ausgesetzt sein. Ich spreche allerdings die Mitbürger unter uns an, die sich keine Sorgen machen müssen. Wenn wir ehrlich zu uns selber sind,  geht es uns, im Vergleich zu vielen anderen Menschen auf dieser Welt, sehr gut. Wir leben in Frieden. Wir haben genügend Essen und sind krankenversichert. Ganz ehrlich: wir sind verwöhnt und klagen auf hohem Niveau. Evan wird medizinisch bestens ver/und umsorgt. Schmarotzer. Dieses Wort höre ich in letzter Zeit sehr oft. Sozialschmarotzer. Wenn ich einem Flüchtling begegne, gehe ich davon aus, dass dieser Mensch vor Tod und Elend geflüchtet ist – auch wenn er im Besitz eines Handys oder anderer Eigentümer ist. Bin ich ein „Gutmensch“? Nein, ich glaube nicht. Ich bin ein Mitmensch, der mitfühlt. Ich hatte das Glück schon einige dieser Menschen kennen zu lernen. Ihre Geschichten zu hören. Die Menschen, denen ich bis jetzt begegnet bin, haben fürchterliche, unbeschreibliche Dinge durchlebt. Ich nehme diese Geschichten mit. Die Schicksale und Tragödien beschäftigen mich. Und das kostbare Glück keimt in mir auf, in Deutschland zu leben. Woher kommt die Skepsis und Angst, dass hinter jedem Flüchtling ein Sozialschmarotzer steckt? Wenn ich einem Menschen in Deutschland begegne, der Arbeitslosengeld erhält, denke ich dann sofort: Sozialschmarotzer? Evan und ich sind Sozialschmarotzer. Was der Staat an Behandlungskosten für Evans Erkrankungen schon aufgebracht hat und noch aufbringen wird, werde ich in meinem Arbeitsleben nicht einzahlen können. Und schon wieder umklammert mich diese unendliche Dankbarkeit, in einem sozialen Land leben zu dürfen. Ein anderes gern gebrauchtes Wort in Bezug auf Flüchtlinge ist der Wirtschaftsflüchtling. Aber was genau ist falsch daran, mit der Aussicht auf einen besseren Verdienst seine Heimat zu verlassen? Wie viele Mitbürger verlassen Deutschland mit der Aussicht auf einen besser bezahlten Arbeitsplatz im Ausland? Goodbye DeutschlandWir versuchen unser Glück in Australien ohne ein Wort englisch zu sprechen, zu wissen wo Australien genau liegt, ohne einen Arbeitsvertrag unterschrieben zu haben (ich mache mich sowieso sofort selbstständig) und ohne irgendeine Form von Rücklagen. Viel Glück! In diesem Zusammenhang habe ich noch nie den Gebrauch des Wirtschaftsflüchtlinges gehört. Welchen Wertung höre ich ebenfalls oft? Krimineller männlicher Flüchtling. Alles kriminelle Flüchtlinge – die allesamt ein menschenverachtendes Frauenbild haben. Es ist eine Tatsache, dass wir alle aus verschiedenen Kulturen kommen, mit unterschiedlichen Werten und Normen erzogen wurden, das nennt man Kulturenvielfalt. Die männlichen Flüchtlinge, die ich bis jetzt kennengelernt habe, waren durchweg freundlich und respektvoll mir gegenüber. Ich habe mich zu keiner Zeit unwohl oder nicht respektvoll behandelt gefühlt. Die deutschen Männer müssen die deutschen Frauen beschützen. Diesen Eindruck habe ich nach den Ereignissen der Überfalle in verschiedenen deutschen Städten erhalten. Nur die deutschen Männer scheinen dies ordentlich erledigen zu können (die Männer, die morgens schon am Ballermann mit Strohhalmen aus riesigen Eimern Sangria trinken, dabei „Schatz geh mal wieder Bier holen, Du wirst schon wieder hässlich“ singen und in die Ecke bzw. an den Strand kotzen – Entschuldigung, diese Schublade musste sein). Tatsache ist: Es ist schrecklich was in den Städten mit den Frauen passiert ist. Kein Mann hat das Recht eine Frau ungewollt unsittlich zu berühren. Punkt. Egal welcher Herkunft oder welchem Volk dieser angehört. Abgründe getarnt als unsere gut bekannten Schubladen tun sich auf. Wie oft habe ich mich und Evan schon aus einer dieser überdimensionalen Schubladen herausgeholt. Herausgezogen. Komm Evan, wir flüchten – wir sind Flüchtlinge in unserem eigenen Land.

Nur ein bisschen mehr Glück gehabt.

Ein kleiner Junge liegt am Strand. Was ist falsch an diesem Bild? Das dieser Junge sich nicht nach einem aufregenden schönen und sonnigen Tag mit seiner Familien am Strand ausruht. Nein, dieser Junge liegt tot am Strand. Angespült. Bekleidet mir seiner blauen Sommerhose und einem roten T-Shirt. Der eigene Vater trägt seinen leblosen Jungen auf dem Arm. Dieses Bild hat sich eingebrannt. Spiegelt das Elend und die unendliche Traurigkeit wieder. Unbeschreiblich. Wörter, die für mich eine so große Macht besitzen, vermögen nicht im Kleinsten dieses Bild in meinem Kopf zu beschreiben. Mein ganz eigenes Bild der Flüchtlingssituation. Es bricht mir das Herz. Ich stelle mir vor, dass dieses Kind Evan ist. Ich die Mutter, die ihn auf dem Arm trägt. Umgekommen auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Was unterscheidet mein Leben von dem des Vaters? Nichts. Nur das bisschen mehr Glück, Deutschland mein Heimatland nennen zu dürfen. Wie kostbar. Dieses bisschen mehr Glück. Wenn ich mit meinem wundervollen Sohn in einem Land leben würde, in dem weder Frieden herrscht noch eine gute medizinische Versorgung vorliegt, glauben Sie mir, ich würde alles menschenmögliche auf mich nehmen, um ihn ein besseres Leben zu ermöglichen. Alles. Ich bin mir sicher, dass ich diese Reise nicht alleine antreten würde. Viele Eltern und Mitmenschen, die sich nach einem glücklichen und friedlichen Leben sehnen, würden sich unser anschließen. Komm kleiner Michel, wir erleben unser größtes Abenteuer und gehen auf eine Reise. Eine Reise in eine bessere Zukunft. Evan würde mich mit seinen großen Augen anschauen und mir voller Vertrauen folgen. Ohne die kleinste Spur des Zweifelns zu empfinden. Dieser kleine Jung am Strand hat seinem Vater vertraut. Getraut. Ich vermag nicht im entferntesten nachzuempfinden wie es diesem Vater jetzt ergehen muss. Ich schäme mich, wenn ich an dieses Bild denke.

Da ich mich ganz klar gegen Schubladen ausspreche, möchte ich die Menschen, die der AfD ihre Stimme gegeben haben, ungerne in eine solche stecken. Die AfD wird – leider – nicht von der Bildfläche verschwinden, wenn man ihre Wähler als Looser beschimpft oder ihnen verbietet bestimmte Seiten auf sozialen Netzwerken zu besuchen. Ich finde es legitim, wenn man in adäquater und konstruktiver Form Kritik an politischen Entscheidung äußert ohne direkt in eine Schublade zu gelangen. Allerdings muss Ihnen, liebe AfD Wählern, klar sein, dass diese Partei ein Sammelbecken rechtsradikaler Wähler ist. Auch wenn die AfD sich deutlich von der NPD distanziert hat, sieht die NPD diese als ihre Schwesternpartei an und hat ihre Mitglieder öffentlich dazu aufgerufen die Erststimme an die AfD zu geben. Grund dafür ist, dass  diese Partei einen offenen rechtsradikalen Populismus ausübt. Rechtsradikale fühlen sich zu Hause. Angekommen. Aufgenommen. Endlich. Wie ein Stiefsohn, den vorher außer der dicken dummen Tante (NPD) keiner lieb hatte. Liebe AfD Wähler, Ich bin ja kein Nazi, aber funktioniert in diesen Kontext leider nicht mehr.

Die AfD bietet keine Lösungsansätze, sie spielt mit den Ängsten der Bevölkerung.

Ich distanziere mich an dieser Stelle ganz deutlich von der AfD. Für mich ist diese Partei und ihr Wahlprogramm menschenverachtend, rassistisch, rechtsradikal und fremdenfeindlich. Eine Partei, die die finanzielle Abstrafung von Alleinerziehenden vorsieht (Programmentwurf), sich öffentlich herablassend und niederträchtig über behinderte Menschen äußert und sich gegen Inklusion ausspricht „Inklusion muss dem Menschen dienen, nicht der Mensch der Inklusion.“  Die AfD setzt sich für „unbürokratische“ Erziehungsmaßnahmen und eine verbesserte „Disziplin“ ein. Wer stört oder nicht ins System passt, fliegt. Ganz einfach. Welche Aussicht hätte mein kleiner Michel aus Lönneberga in einem solchen System? Eine Partei, die den Klimawandel ignoriert und im hinteren Teil ihres Wahlprogrammes die Unterstützung für Migranten als „Integrationsfolklore“ verhöhnt (ich habe mir die Mühe gemacht die 80 Seiten des Programmes zu lesen). Sieht so meine und Evans Zukunft für/in Deutschland aus? Nein, definitiv nicht! Ich kann und möchte mir beim Besten willen nicht vorstellen, dass die AfD so viele Wählerstimmen aufgrund ihres  genialen Parteiprogrammes erhalten hat. Gerade weil dieses Programm (u.a. die Sozialversicherung privatisieren, Staatsfinanzierung entsolidarisieren und den Mindestlohn abschaffen) ausgerechnet den Menschen schaden würde, die diese Partei besonders unterstützen, die Arbeiter und Arbeitslosen in Ostdeutschland (Spiegel, so unsozial ist die AfD). Was also bewegt so viele Menschen diese Partei zu unterstützen? Es ist ganz einfach: sie spielt mit den Ängsten der Bevölkerung. Und dieses Spiel beherrscht sie gut. Die älteste und stärkste Gefühl der Menschen ist die Angst, und die älteste und stärkste Art der Angst, ist die Angst vor dem Unbekannten. Howard Phillips Lovecraft

In meiner naiven Vorstellung wünsche ich mir, dass Sie, liebe AfD Wähler, dieser Partei aus Angst ihre Stimmen gegeben haben. Nicht aus Überzeugung. Wenn dem nicht so sein sollte, kann ich Ihnen leider nur noch eins mit auf dem Weg geben: Fuck off! Meine ganz persönliche Mini Schublade für Sie. Deutschland steht für Lebenschancen. Flüchtlinge, die nach Deutschland und Europa fliehen, streben nach diesen Lebenschancen. Für uns ein selbstverständliches Gut: echte Chancen und das eigenen Leben in Würde zu führen. (Zwei Werte für Alle, The European). Wenn wir über politische Lösungsansätze diskutieren, dürfen wir eines nicht vergessen: Die Menschenwürde und unser unendliches Gut in einem friedlichen Land in Würde leben zu dürfen. Mögen Sie anderen Menschen dieses kostbare Gut absprechen, nur weil Sie ein bisschen mehr Glück hatten? Bevor viele von Ihnen jetzt verstört aufschreien – Deutschland hat keine Kapazitäten mehr! – kann ich Sie beruhigen, in 2014 nahm das Bundesland Brandenburg 6.000 Flüchtlinge auf. Im April 1949 lebten dort 655.466 Vertriebene, was einem Bevölkerungsanteil von 24,8 Prozent entsprach. Häufig waren sie jahre-, manchmal sogar jahrzehntelang zwangsweise bei Einheimischen oder in Notunterkünften einquartiert. Angesichts solcher Erfahrungen sollten wir uns heute keine übertriebenen Sorgen machen und uns an unsere eigenen Familiengeschichten erinnern. (Zeit online, Artikel: Böhmen, Pommern, Syrien).

Mein kleiner Michel aus Lönneberga, ich wünsche Dir ein Deutschland, indem die Würde jedes einzelnen Menschens gleich viel wert ist. Die unantastbare Würde. Diese nicht mit ein bisschen mehr Glück oder irrsinnigen Besitzansprüchen begründet wird. Und ich wünsche Dir Frieden. Ein Leben lang.

 

 

 

 

 

 

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