Autismus
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Der steinige Weg zur Diagnose

 

Kann er mich nicht hören oder will er mich nicht hören? Diese Frage habe ich mir ganz am Anfang unseres gemeinsamen Weges – ich könnte auch Martyrium schreiben – immer wieder gestellt. Irgendetwas stimmt doch nicht. So fing alles vor ungefähr 3 Jahren an. Evan hat sehr wenig auf Sprache reagiert und schien oft sehr abwesend zu sein. Zudem war Evan ein sehr unruhiges Kind und wollte immer beschäftigt werden. Dabei habe ich mir am Anfang nicht viel gedacht, da Evan durch seine schwere chronische Erkrankung (Herzfehler) sehr viel umsorgt wurde. Hat er in seiner „Intensivkrankenhauszeit“ nur einmal geschrien, wurde er sofort von mehreren Krankenschwestern umsorgt und liebevoll zur Ruhe gebracht. Das hat sich Evan sehr früh gemerkt und sich zu Nutzen gemacht.

Aber es ließ mir trotzdem keine Ruhe. Umso älter er wurde umso mehr Sorgen habe ich mir gemacht. Nach einiger Zeit habe ich mir einen Termin bei einem Pädaudiologen geholt. Er sollte abklären, ob Evan im Stande ist richtig und deutlich zu hören. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch sehr naiv und optimistisch was Evans Zusammenarbeit betraf. Dieser Optimismus verflog allerdings sehr schnell – eigentlich schon mit Eintritt in die Praxis. Die lieben Arzthelferinnen haben sich davon allerdings nicht entmutigen lassen. „Das bekommen wir schon hin, wir haben hier unsere Erfahrungen gemacht“. Okay, dachte ich. Lass die mal machen. Nach ein paar Minuten kamen sie schweißgebadet und nicht mehr ganz so optimistisch blickend aus dem „Hörraum.“ Das funktioniert so nicht. Mit dieser Aussage habe ich dann die Praxis verlassen und war genau so nicht wissend wie vorher.

Die Universitätsklinik in Kiel, in der Evan mit seinem Herzfehler in Behandlung ist, hat dann die Hörtests bei Evan durchführen können, allerdings im sedierten Zustand. Das Resultat war, dass Evan sehr gut hören kann. Aber trotzdem blieb die Ungewissheit und dieses seltsame Gefühl, dass etwas nicht stimmt.

Im Januar 2012 haben Evan und ich eine Mutter Kind Kur gemacht. Während dieser Kur haben mich die Erzieher angesprochen und mir gesagt, dass ihnen einige Auffälligkeiten aufgefallen sind und ich diese doch mal überprüfen lassen sollte. Als wir wieder zu Hause waren, habe ich daraufhin gleich einen Kinderarzt und einen Kinderpsychologen aufgesucht. Der Kinderarzt versuchte mich zu beruhigen und versicherte mir, dass alles okay wäre. Zu diesem Ergebnis kam er schon nach einigen Minuten. Der erste Kinderpsychologe, den wir aufgesucht haben,  hat Evan 2 Mal für gute 20 Minuten beobachtet und mir daraufhin zu verstehen gegeben, dass Evan normal entwickelt sei und ich doch meine Erziehungsmethoden überdenken sollte. In dieser Zeit habe ich wirklich angefangen an mir als Mutter zu zweifeln. Mache ich etwas falsch? Fördere ich Evan nicht genug? Muss ich einfach mehr Bücher mit ihm lesen, damit er das Sprechen erlernt? So abwegig mir diese Gedankengänge heute vorkommen, damals haben diese Schuldgefühle mich sehr beschäftigt und gequält.

Es waren viele Kleinigkeiten, die damals alleine betrachtet vielleicht nicht so ungewöhnlich erschienen aber mir  im Gesamten ein komisches Gefühl übermittelt haben. Evan wirkte sehr unruhig, war oft sehr abwesend, hat weder auf Sprache noch auf Gestiken reagiert. Sobald wir das Haus verlassen haben, wirkte er sehr verloren und überfordert und ist nur weggelaufen. Seine Art zu Spielen war schon immer sehr speziell aber im Vergleich mit anderen Kindern ist Evan einfach aufgefallen. Was also stimmt hier nicht?

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich die Nachricht erhalten habe, dass Evan Pflegestufe 2 bewilligt bekommt. Als ich den Brief geöffnet habe, musste ich weinen. Nicht weil ich traurig war sondern weil ich mich gefreut habe, dass die tägliche Belastung und der Aufwand mit Evan gesehen wird. Ich habe mir das doch nicht nur alles eingebildet!

Von da an hat sich bei mir etwas verändert und ich habe mir gedacht: Jetzt erst Recht! Ich habe bei sämtlichen Institutionen und Ärzte angerufen und mir Termine geholt, unter anderem habe ich mir an diesem Tag einen Termin im Sozial-pädiatrischen Institut in Bremen geben lassen und diesen wenige Wochen später wahrgenommen. Dort hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass ich ernst genommen werde und das meine Beobachtungen, nichts mit einer „Helikopter Mutter“ (hysterisch) zu tun haben, sondern ernst genommen und sogar geteilt werden. Die Kinderpsychologen, sowie die Heilpädagogen und Kinderärztin haben Evan für gute 2 Stunden beobachtet und danach sofort „Verdacht auf frühkindlichen“ Autismus diagnostiziert. Evan war zu dem Zeitpunkt erst 2 Jahre und die endgültige Diagnose darf erst ab 3 Jahren erfolgen. Nach diesem Gespräch war ich einerseits sehr traurig aber andererseits auch sehr erleichtert. Es war ein Wechselbad der Gefühle. Aber das schönste Gefühl war, dass ich gesehen und sehr ernst genommen wurde. Ich habe mich nicht geirrt. Es ist nicht meine Schuld und ich könnte noch 100 Bücher kaufen, Evan würde nicht einfach anfangen zu sprechen.

Im  Alter von 3 Jahren und vielen weiteren Untersuchungen sowie Beobachtungen wurde mit 3 Jahren dann die endgültige Diagnose gestellt: Frühkindlicher Autismus.

Wenn es um Evan geht, verstehe ich keinen Spaß und werde zu einer richtigen Löwenmutter. Ich glaube ich bin der Schrecken einiger Ärzte, unserer Krankenkasse und Institutionen geworden. Viele von ihnen würden am liebsten gleich wieder auflegen, wenn sie meinen Namen hören. Aber das macht mir nichts mehr. Wenn ich nicht so penetrant und fordernd gewesen wäre, wären Evan und ich heute nicht so weit gekommen. Evan hat mit 2 Jahren schon mit der Autismustherapie begonnen und ist nicht wie einige Ärzte mir empfohlen haben in einen Regelkindergarten gegangen sondern in eine heilpädagogischen Kindergarten mit einer Gruppe von nur 5 weiteren Kindern und 3 Erziehern. Und das war genau richtig so!

Ich habe mittlerweile einige tolle Hilfsmittel wie unser Bett (mit einer speziellen IMG-20150204-WA0030Schlummerstern Matratze), was ich abends während des „Einschlafensprozesses“ einfach abschließen kann (hört sich schlimmer an als es ist – Evan liebt sein Bett). Ich musste mir vieles selber anlesen und mich informieren und oftmals etliche Telefonate und Papierkrieg hinter mich bringen aber es hat sich gelohnt. Ich bin eine richtige Expertin auf diesem Gebiet geworden, Es ist nicht immer leicht und manchmal hat man einfach keine Lust und auch keine Kraft mehr,  nur noch ein Telefonat zu führen. Viele Mitarbeiter von einigen Einrichtungen oder Krankenkassen können das gar nicht nachvollziehen. „Sie müssen doch nur noch 3 Arztbriefe, 2 Rezepte un1447502126833d 3 weitere Anträge ausfüllen bzw. einreichen und dann bekommen sie schon eine Antwort – noch keine Zusage. „Nur noch„… Diese 2 Wörter konnte ich irgendwann nicht mehr hören. Neben der Ernährung, Pflege, Betreuung, Telefonaten,  Arztbesuche, Therapien und Behördengänge hört sich „nur noch“ relativ verloren an.

Liebe Mütter, liebe Väter, lasst Euch nicht unterkriegen und vertraut Eurem Gefühl. Lasst Euch nicht abwimmeln oder abspeisen sondern habt Vertrauen in Euer Empfinden. Bitte vertraut Euren eigenen Fähigkeiten, Stärken und Kompetenzen. Sie, als Mutter oder Vater, sind Fachfrau und Fachmann für Ihr Kind, denn niemand kennt Ihr Kind so gut wie Sie.

Ich kämpfe für Evan und setzte mich für seine Rechte und sein Wohlbefinden ein. Wenn nicht ich, wer dann?

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