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Inseln schaffen und leben

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Wir müssen bereit sein, uns von dem Leben zu lösen, das wir geplant haben, damit wir das Leben finden, das auf uns wartet (Joseph Campbell)…

Dieser Spruch begleitet mich jetzt schon seit einiger Zeit, eigentlich seit dem Tag als ich von Evans Herzfehler erfahren habe. Ich habe lange Zeit in Brüssel gearbeitet und war in meinem Job sehr glücklich. Ich bin viel gereist und konnte mich auf vielen Gebieten weiterentwickeln, privat wie auch beruflich. Durch Evans Herzdiagnose und seinem Autismus hat sich mein Leben von heute auf morgen geändert. Aus Brüssel wurde ein kleines Dorf bei Bremen. Die Reisen kann ich nicht mehr machen und beruflich…? Jetzt werden viele Eltern mit gesunden Kindern sagen, dass jeder, der Kinder hat, diese Einschränkungen kennt und hat. Und das stimmt auch. Allerdings sind diese Einschränkungen mit einem behinderten Kind viel einschneidener. Oftmals hat man das Gefühl, dass man sich komplett selber aufgeben muss. Und ich glaube, dass passiert auch zum Teil. Früher hatte ich die Vorstellungen, dass sich mein Kind an mein Leben anpassen muss und nicht andersrum. Ich habe mich schon auf tollen Konzerten mit meinem Kind – mit riesen Kopfhörern versteht sich – gesehen. Museen besuchen, zusammen auf Reisen gehen,  einfach gemeinsam die Welt entdecken. Reisen könnte ich jetzt nach Schweden in ein einsames Landhaus und bei unserem letzten und einzigen Museums Besuch hat Evan einem ausgestopftem Tier den Kopf abgerissen.

Evans Kinderpsychologin sagte etwas sehr Ehrliches zu mir: „Frau Becker, ihr Kind wird ihr Leben bestimmen, und nicht andersrum.“ Damals wollte ich es nicht wahrhaben. Aber sie hatte Recht. In erster Linie bestimmt Evan was wir wann, wo und vor allem WIE wir etwas machen. Natürlich gibt es Regeln und ich entscheide wann wir/ich einkaufen gehen. Aber Evans Autismuserkrankung bestimmt unser ganzes Leben und ganz besonders unseren Alltag. Manchmal überkommt es mich aber doch und ich reiße voller Elan und Enthusiasmus das Ruder an mich – ich fahre in eine Shopping Mall oder gehe in ein völlig überfülltes Freibad – um es dann aber wieder ganz schnell abgeben zu können. Viele meiner Freundinnen oder sogar Evans Therapeuten fragen mich, warum ich mir diesen Stress immer wieder antue und nicht einfach mit Evan zu Hause bleibe. Es gibt Sachen, die mache ich mit Evan nicht mehr wie z.B. ein Restaurantbesuch oder in ein super überfülltes Freibad zu gehen. Aber ich möchte mich nicht völlig zurückziehen und nur zu Hause bleiben. Auch wenn gewisse Situationen stressig sind, überwiegt immer noch der Moment. Und solange das so bleibt werde ich auch weiterhin nach Italien in den Urlaub fahren und nicht nach Schweden.

Ich habe mittlerweile gelernt mir meine Inseln zu schaffen. Das sind manchmal nur kleine Momente. Auf dem Spielplatz in der Sonne zu sitzen  und dabei Sushi zu essen und einen Sekt aus der Dose zu trinken.  Ich nehme auch gerne weite Autofahrten in Kauf nur um einen verlassenen Spielplatz oder Waldgebiet zu finden. Inseln zu schaffen und zu haben sind lebenswichtig. Mittlerweile habe ich auch gelernt mir meinen Raum – auch mit Evan – zu nehmen. Was ich früher als „Mich Aufgeben“ empfunden habe, ist mehr zu einer Art Hingabe oder Aufgabe geworden. Mit Evan zusammen ich selber zu bleiben musste ich erst lernen und ich lerne immer wieder dazu. Manchmal funktioniert es gut und manchmal weniger. Es gibt Tagen, an denen bin ich fast am Verzweifeln, da ich noch nicht einmal kurz etwas einkaufen kann oder das Einsteigen ins Auto schon alleine eine halbe Stunde dauert. Aber es gibt auch diese ganz besonderen Tage und Erlebnisse. Irgendwie habe ich es geschafft, dass diese Tage länger im Gedächtnis bleiben. Die schlechten Tagen oder Erlebnisse werden „RELATIV“ schnell wieder gelöscht.

Ein ganz besonderer Dank gilt an dieser Stelle meinen Eltern. Evans Großeltern, die es mir ermöglichen meine Inseln zu schaffen und wieder Kraft für den Alltag zu bekommen!

Trotz all dieser Einschränkungen könnte ich mir mein Leben mittlerweile nicht mehr anders vorstellen. Durch Evans Erkrankung habe ich einzigartige und ganz besondere Menschen kennengelernt, die ich mit einem gesunden Kind nie kennengelernt hätte und dafür bin ich sehr dankbar. Ich wurde schon oft gefragt, ob ich mir nicht ein gesundes Kind wünschen würde. Ich kann diese Frage gar nicht beantworten. Natürlich würde ich mir wünschen, dass Evan gesund ist. Aber so ist es nun mal nicht. Und sich sein Kind anders vorzustellen? Das kann und will ich nicht!

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